Formfehler bergen Risiken – Vermittlungsauftrag entscheidet mit

Formale Unzulänglichkeiten können die Vermutung einer Diskriminierung eines Schwerbehinderten begründen mit der Folge, dass diesem eine finanzielle Entschädigung zugesprochen wird

Der Fall und seine Hintergründe

Auf seine Bewerbung als Scrum Master/ Agile Coach erhielt eine schwerbehinderte Person eine Absage. Er war der Meinung, dass er wegen seiner Schwerbehinderung im Bewerbungsverfahren diskriminiert worden sei. Gerügt wurde vor allem ein Verstoß gegen die Verpflichtung des Arbeitgebers nach § 164 Abs. 1 Satz 2 SGB IX (Vermittlungsauftrag an die Agentur für Arbeit). Der Arbeitgeber habe die Stellenanzeige zwar der Agentur für Arbeit übermittelt und auf der Jobbörse veröffentlicht, jedoch keinen Vermittlungsauftrag an die nach § 187 Abs. 4 SGB IX bei der Agentur für Arbeit eingerichtete besondere Stelle erteilt. Vor Gericht hatte die Person daher Klage auf eine Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz) eingereicht.

Der beklagte Arbeitgeber verteidigte sich damit, dass die Entscheidung für einen anderen Bewerber schon gefallen war, bevor die Bewerbung des schwerbehinderten Bewerbers eingegangen sei. Der andere Bewerber hatte die Stelle auch bereits angenommen. Damit sei eine Diskriminierung wegen der Schwerbehinderung ausgeschlossen.

Die Entscheidung

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschied mit Urteil vom 27.03.2025 (Az.: 8 AZR 123/24), dass der Kläger keinen Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG hat, da sich der Arbeitgeber erfolgreich exkulpieren konnte. Dabei stellte das BAG zunächst fest, dass der Kläger gegenüber dem Bewerber, der die Stelle bekommen hat, benachteiligt wurde. Ein Anspruch auf Entschädigung entstehe aber nur dann, wenn diese Benachteiligung auch wegen der Schwerbehinderung erfolgt sei. Dass dies nicht der Fall ist, müsse der Arbeitgeber beweisen. Das BAG führt dazu aus, dass eine Diskriminierung wegen der Behinderung nach § 22 AGG regelmäßig vermutet wird, wenn ein Verstoß gegen Verfahrensvorschriften zugunsten von Menschen mit einer Behinderung vorliegt. Der beklagte Arbeitgeber habe die Stellenanzeige an die Agentur für Arbeit zwar übermittelt, aber keinen Vermittlungsauftrag an eine qualifizierte Stelle gegeben. Dies stelle einen Verstoß gegen die Verpflichtung des Arbeitgebers gemäß § 164 Abs. 1 S. 2 SGB IX dar. Für eine ordnungsgemäße Meldung offener Stellen bei der Agentur für Arbeit sei es nicht ausreichend, dass das Stellenangebot über die Jobbörse der Agentur für Arbeit veröffentlicht wird; es sei auch die Erteilung eines Vermittlungsauftrags erforderlich. Dem beklagten Arbeitgeber gelang es jedoch, die Vermutung durch Zeugenaussagen und unter Vorlage von E-Mail-Schriftverkehr erfolgreich zu widerlegen. So konnte er nachweisen, dass das Bewerbungsverfahren schon vor Eingang der Bewerbung des Klägers abgeschlossen war. Demnach wurde die Entscheidung, die Stelle mit einem anderen Kandidaten zu besetzen, final am 24.08.2021 um 11:09 Uhr getroffen. Die Bewerbung des schwerbehinderten Klägers sei aber erst eine Stunde später eingegangen, so dass der Grund für die Absage gewesen sei, dass das Stellenbesetzungsverfahren bereits beendet war. Die Behinderung war nicht ausschlaggebend.

Praxishinweis

Arbeitgeber sind gemäß § 164 Abs. 1 Satz 1 SGB IX verpflichtet zu prüfen, ob freie Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen, insbesondere mit bei der Agentur für Arbeit arbeitslos oder arbeitsuchend gemeldeten schwerbehinderten Menschen, besetzt werden können. Arbeitgeber müssen daher nach § 164 Abs. 1 Satz 2 SGB IX frühzeitig Verbindung mit der Agentur für Arbeit aufnehmen. Was „frühzeitig“ ist, wird im Gesetz und der Rechtsprechung nicht näher definiert. Die Agentur für Arbeit sollte jedoch einen entsprechenden Vorlauf für die Erarbeitung von Vermittlungsvorschlägen erhalten, sodass die juristische Literatur davon ausgeht, dass die Meldung mindestens eine Woche vor der öffentlichen oder internen Bekanntmachung der Ausschreibung erfolgt. Die bloße Einstellung in die Online-Jobbörse der Agentur für Arbeit genügt nicht, wenn nicht gleichzeitig ein Vermittlungsauftrag erteilt wird. Bei einem Verstoß des Arbeitgebers gegen diese Vorgaben riskiert er bei einer Klage, dass das Gericht eine Diskriminierung wegen der Behinderung vermutet und eine Entschädigung zuspricht. Die Vermutung der Diskriminierung muss der Arbeitgeber in einem solchen Fall erst widerlegen. Im entschiedenen Fall ist dies gelungen, weil das Bewerbungsverfahren bereits abgeschlossen war.

Sollten Sie in diesem Bereich Beratungsbedarf haben, vereinbaren Sie gerne einen ersten Besprechungstermin mit Rechtsanwalt Ulrich Paulussen.