Jurastudent erstreitet 100.000 € Schadenersatz

Das Landesarbeitsgericht (LAG) München hat im Juni 2025 in einem viel beachteten Urteil einem ehemaligen Kellner, der Jura studiert hat und inzwischen Rechtsreferendar ist, ca. 100.000,00 € zugesprochen, eine schriftliche Entschuldigung und 6 Monate bezahlten Urlaub.

Zur Vorgeschichte des Rechtsstreits ist folgendes wissenswert:

Der Arbeitgeber hatte den Studenten nicht mehr zum Dienst als Kellner eingeteilt, nachdem dieser erste Schritte für die Gründung eines Betriebsrats eingeleitet hatte. Nach einer gescheiterten Wahlversammlung verweigerte der Arbeitgeber dem Stundenten monatelang die Beschäftigung.

Als der Student rückständigen Lohn verlangte, wurde er wieder zur Arbeit aufgefordert, von nun an jedoch nicht mehr im Service sondern im Küchenbereich. Der Student weigerte sich, diese Arbeit auszuführen. Hierauf kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis fristlos wegen beharrlicher Arbeitsverweigerung.

Im Kündigungsschutzverfahren führte der Arbeitgeber an, er habe bei der Kündigung berücksichtigt, dass der Student nur in Teilzeit und auf Basis einer geringfügigen Beschäftigung tätig war. Er sei 24 Jahre alt, noch jung, habe keine Kinder und keine Unterhaltspflichten, sodass die Kündigung für ihn auch keine unzumutbare Härte bedeute.

Der Student erweiterte im Verfahren seinen Kündigungsschutzantrag daraufhin um einen Anspruch auf Ersatz immateriellen Schadens nach § 15 Abs. 2 AGG. Die Erläuterungen zur Kündigung durch die Beklagte enthielten nach seiner Auffassung eine Diskriminierung wegen seines Alters. Daneben werde er als Teilzeitbeschäftigter gegenüber Vollzeitbeschäftigten unangemessen benachteiligt. Schließlich ergänzte der Student seine Klageanträge um eine größere Reihe weiterer Ansprüche, darunter auf Zahlung von Annahmeverzugslohn und auf einen Ausgleich für entgangene Trinkgelder.

Erste Instanz – noch ohne Schadenersatz

 

Das in erster Instanz zuständige Arbeitsgericht gab der Kündigungsschutzklage statt, wies aber die weitergehenden Anträge zurück. Dem Arbeitsgericht waren die Darlegungen des Klägers zu seinen diversen Schadensersatzansprüchen zu unsubstantiiert.

Berufung 

 

Der Kläger legte gegen das erstinstanzliche Urteil Berufung ein. Die Berufung des Jurastudenten hatte weitgehend Erfolg. Das Landesarbeitsgericht kam zu dem Ergebnis, dass die Beklagte ihn wegen seiner Aktivitäten zur Gründung eines Betriebsrates nicht mehr zum Dienst eingeteilt habe. Das Berufungsgericht wertete die Nichteinteilung zum Dienst als vorsätzliche Verletzung der arbeitgeberseitigen Pflicht gem. § 20 Abs. 2 BetrVG. Nach dieser Vorschrift darf der Arbeitgeber die Wahl eines Betriebsrats nicht durch Zuführung oder Androhung von Nachteilen beeinflussen. Genau dies habe die Beklagte durch ihre Reaktion auf die Betriebsratsinitiative des Klägers getan.

Wegen der Verletzung des Schutzgesetzes sei die Beklagte daher zum Schadensersatz verpflichtet. Dies betreffe sowohl den Verdienstausfall, den das Gericht auf der Grundlage des geschuldeten Mindestlohns errechnete, als auch entgangene Trinkgelder in Höhe von durchschnittlich 100,00 € pro Schicht für die Jahre 2020 bis 2023.

Die dem Studenten zustehenden vergünstigten Speisen und Getränke während der Schicht bewertete das Gericht als Sachbezüge, die in der Schadensberechnung ebenfalls zu berücksichtigen seien.

Im Ergebnis war nach Auffassung des Berufungsgerichts nicht nur die Klage auf Schadensersatz begründet, sondern auch der geltend gemachte Anspruch auf Annahmeverzugslohn für die Zeiten, in denen der Student keine Aufforderung vom Arbeitgeber erhalten hatte, seinen Dienst anzutreten. Zu einem ausdrücklichen Angebot sei der Arbeitnehmer bei einer flexiblen Arbeitszeitgestaltung, wie sie im vorliegenden Fall bestanden habe, nicht verpflichtet. Der Anspruch auf Zahlung von Annahmeverzugslohn entstehe bei einer flexiblen Arbeitszeitgestaltung schon dadurch, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht mehr zum Dienst einteilt.

29 Wochen Urlaubsanspruch

 

Daneben bejahte das Landesarbeitsgericht München einen Anspruch des Klägers auf ca. 6 Monate bezahlten Urlaub. Der damalige Arbeitgeber habe den Kläger zu keinem Zeitpunkt darauf hingewiesen, dass er ein Recht auf Urlaub habe. Ein solcher Hinweis sei eine Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers. Eine Verletzung dieser Obliegenheit habe zur Folge, dass der Urlaub nicht verfalle. Dem Kläger seien daher 29 zusammenhängende Wochen Urlaub zu gewähren.

Abschließend hatte der Kläger nach Auffassung des Berufungsgerichts schlüssig eine Diskriminierung durch die Beklagte wegen seines Alters dargelegt. Im Rahmen des Schadensersatzes in Form von Naturalrestitution habe sich die Beklagte, die den Gastronomiebetrieb im Wege des Betriebsübergangs übernommen hat, bei dem Kläger schriftlich für den unangemessenen Hinweis auf dessen jugendliches Alter als Rechtfertigung für die fristlose Kündigung zu entschuldigen.

Wie man sieht, kann persönliches Fehlverhalten im Umgang mit Arbeitnehmerrechten unangenehm teuer werden. Ich empfehle, bei vergleichbaren Gegebenheiten dringend anwaltlichen Rat einzuholen. Die Entscheidung zeigt zudem eine außergewöhnliche Besonderheit im Tenor, nämlich dass sich der Arbeitgeber beim Arbeitnehmer schriftlich zu entschuldigen hat.

Sollten Sie in diesem Bereich Beratungsbedarf haben, vereinbaren Sie gerne einen ersten Besprechungstermin mit Rechtsanwalt Ulrich Paulussen.