Das Gebot fairen Verhandelns beim Aufhebungsvertrag

Zur zuvor erwähnten Problematik, die in den letzten Jahren mehrfach die Arbeitsgerichte beschäftigt hat, hat das Bundesarbeitsgericht im Februar 2022 ein interessantes neues Urteil verkündet. Es handelt sich hierbei um die Entscheidung des BAG, Urteil vom 24.02.2022, 6 AZR 331/21.

Der Entscheidung des BAG lag nachfolgender Sachverhalt zugrunde:

 

Die Parteien streiten über den Fortbestand ihres Arbeitsverhältnisses nach Abschluss eines Aufhebungsvertrages. Am 22.11.2019 führten der Geschäftsführer und der spätere Prozessbevollmächtigte der Beklagten, der sich als Rechtsanwalt für Arbeitsrecht vorstellte, im Büro des Geschäftsführers ein Gespräch mit der als Team-Koordinatorin Verkauf im Bereich Haustechnik beschäftigten Klägerin. Sie erhoben gegenüber der Klägerin den Vorwurf, diese haben unberechtigt Einkaufspreise in der EDV der Beklagten abgeändert bzw. reduziert, um so einen höheren Verkaufsgewinn vorzuspiegeln. Die Klägerin unterzeichnete nach einer etwa 10-minütigen Pause, in der die drei anwesenden Personen schweigend am Tisch saßen, den von der Beklagten vorbereiteten Aufhebungsvertrag. Dieser sah unter anderem eine einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.11.2019 vor. Die Klägerin focht den Aufhebungsvertrag mit Erklärung vom 29.11.2019 wegen widerrechtlicher Drohung an.

Mit ihrer Klage machte die Klägerin unter anderem den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses über den 30.11.2019 geltend. Sie behauptete, ihr sei für den Fall der Nichtunterzeichnung des Aufhebungsvertrages die Erklärung einer außerordentlichen Kündigung sowie die Erstattung einer Strafanzeige in Aussicht gestellt worden. Ihrer Bitte, eine längere Bedenkzeit zu erhalten, um Rechtsrat einholen zu können, sei nicht entsprochen worden. Damit habe die Beklagte gegen das Gebot fairen Verhandelns verstoßen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat sie auf die Berufung der Beklagten abgewiesen. Die Revision der Klägerin hatte vor dem 6. Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg.

Auch wenn der von der Klägerin geschilderte Gesprächsverlauf zu ihren Gunsten unterstellt wird, fehlt es an der Widerrechtlichkeit der behaupteten Drohung.

Ein verständiger Arbeitgeber dürfte im vorliegenden Fall sowohl die Erklärung einer außerordentlichen Kündigung als auch die Erstattung einer Strafanzeige ernsthaft in Erwägung ziehen. Ebenso ist das Landesarbeitsgericht auf der Grundlage der vom Senat in der Entscheidung vom 07.02.2019 (- 6 AZR 75/18 -) entwickelten Maßstäbe unter Berücksichtigung des in der Revisionsinstanz nur eingeschränkten Prüfungsumfangs zutreffend zum Schluss gekommen, dass die Beklagte nicht „unfair verhandelt“ und dadurch gegen ihre Pflichten aus § 311 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 241 Abs. 2 BGB verstoßen hat. Im Ergebnis wurde die Entscheidungsfreiheit der Klägerin nach den Urteilsgründen nicht dadurch verletzt, dass die Arbeitgeberin den Aufhebungsvertrag nur zur sofortigen Annahme unterbreitet hat und die Klägerin über die Annahme deswegen sofort entscheiden musste.

Nach der Rechtsprechung kann ein Aufhebungsvertrag unter Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns zustande gekommen sein. Ob dies der Fall ist, ist anhand der Gesamtumstände der konkreten Verhandlungssituation im jeweiligen Einzelfall zu entscheiden. Allein der Umstand, dass der Arbeitgeber den Abschluss eine Aufhebungsvertrages von der sofortigen Annahme seines Angebotes abhängig macht, stellt für sich genommen keine Pflichtverletzung dar, auch wenn dies dazu führt, dass dem Arbeitnehmer weder eine Bedenkzeit verbleibt, noch der Arbeitnehmer erbetenen Rechtsrat einholen kann.

Gebot fairen Verhandelns verpflichtet zur Rücksichtnahme

Zum Gebot fairen Verhandelns beim Aufhebungsvertrag ist anzumerken, dass es sich hierbei um eine Nebenpflicht aus dem Arbeitsverhältnis handelt, wonach jeder Teil zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichtet ist.

Beachtlich ist zudem, dass das Gebot fairen Verhandelns sich nicht auf den Inhalt des Vertrages, sondern auf den Weg zum Vertragsschluss bezieht. Auch der sogenannte Überrumplungseffekt – wobei bei der Nutzung eines Überraschungsmoments die Entscheidungsfreiheit des Vertragspartners beeinträchtigen kann –gehört in diese Fallgruppe.

Die Folge eines Verstoßes gegen das Gebot fairen Verhandelns ist nach der Rechtsprechung des BAG, dass der unfair behandelte Vertragspartner einen Schadensersatzanspruch hat, in dessen Folge er im Ergebnis so zu stellen ist, als hätte er den Aufhebungsvertrag nicht geschlossen. Die Rechtswirkungen des Aufhebungsvertrages sind dann auch nicht mehr gegeben. Im Ergebnis ist der Aufhebungsvertrag demzufolge unwirksam. Folglich kommt es zu einer Fortsetzung des ursprünglichen Arbeitsverhältnisses zu unveränderten Bedingungen.

Sollte Ihnen eine vergleichbare Situation wie zuvor beschrieben geschehen sein und sollten Sie einen Aufhebungsvertrag in einer solchen Situation unterzeichnet haben, besteht eine gute Möglichkeit, die Rechtswirkungen des möglicherweise zu Ihrem Nachteil geschlossenen Aufhebungsvertrages aus der Welt zu schaffen.

Finden Sie sich in dieser Situation wieder und benötigen Unterstützung? Rufen Sie gerne in der Kanzlei an!? Sprechen Sie mich gern an.